COVID-19 & die Modebranche

It’s Fashion Revolution Week. Und wir wundern uns ein bisschen. Wir fragen uns, warum kaum über den Zusammenhang der Modeindustrie und dem Ausbruch des Coronaviruses in Europa gesprochen wird. Ein Umstand, der eigentlich recht offensichtlich ist. Unter anderem hatte wohl das absurde System und die Profitgier der Modebranche großen Einfluss auf die Verbreitung des von COVID-19.

In Italien hat die Ausbreitung des Viruses in der Provinz Lodi ihren Anfang genommen, nur wenige Kilometer von der Modemetropole Mailand entfernt. Für die italienischen Medien gibt es einen klaren Grund warum ist ausgerechnet Norditalien so massiv betroffen ist: „Pronto Moda“.

Pronto Moda – Made in Italy

Made in Italy war immer ein großes Qualitätssiegel, wenn es um Mode ging. Italien ist bekannt für qualitativ hochwertige Schuhe und große Luxusmarken. Ein Ruf den man sich auch in Zeiten von Fast Fashion und Billigproduktionen in Asien, Afrika oder Lateinamerika behalten wollte. Ohne aber mehr dafür zahlen zu wollen. Wie löst man also dieses Problem? Ganz einfach, dachten sich die großen Italienischen Modemarken, wir holen uns die „billigen Arbeitskräfte“ einfach nach Italien. Was wir jetzt so platt ausdrücken, ist keineswegs übertrieben.

„Pronto Moda“, so nennt man das Gebiet um die norditalienische Stadt Prato in der Toskana und die dort stattfindende Produktion von vermeintlich italienischen Produkten. Viele verbinden mit dem Begriff Armut und Ausbeutung. Denn in den Betrieben arbeiten chinesische GastarbeiterInnen unter Bedingungen, die man bisher nur aus Asien kannte. Mitten in Europa, wo wir doch Arbeitsschutzgesetze und Mindestlöhne haben. Die Frage, die wir im Zuge der Fashion Revolution Week sehr oft stellen, „Who made my clothes?“ oder „How are my clothes produced?“ bekommt so nochmal einen anderen Twist.

Illegale Sweatshops – keine Papiere, keine Versicherung, keine Gesundheitsversorgung

In den Fabrikhallen und Werkstätten Pratos liegen Matratzen. Auf engstem Raum leben und arbeiten dort chinesische EinwandererInnen. Sie nähen im Auftrag großer Modemarken konkurrenzlos billig. So ist ein Nährboden für Sweatshops entstanden – Made in Italy.

Im Outsourcen ist die Modebranche ja, wie wir alle wissen, Weltmeister. Das heißt, Marken lassen ihre Kleidungsstücke bei externen Produzenten, wie denen in Prato nähen und ist somit fein raus, was die Verantwortung für die ArbeiterInnen betrifft. Über Arbeitsplatzsicherheit, Hygiene, Brandschutz, geregelte Arbeitszeiten muss sich somit kein Label Gedanken machen. Mehr noch, die Marken können die Preise unermesslich drücken, indem sie drohen, die Aufträge an andere Fabriken zu vergeben. Sie sparen sich nicht nur einen guten Teil des sonst üblichen Kaufpreises, sondern auch die Lieferzeit per Schiff und die Einfuhrzölle an Europas Außengrenzen. 

Vor Corona ging es der Branche richtig gut: italienische Modefirmen erwarteten 2020 einen Gesamtumsatz von 42 Milliarden Dollar. Wie viele chinesische Arbeiter in der italienischen Textilindustrie arbeiten, weiß niemand. Alleine in Prato selbst sollen es bis zu 50 000 sein.

Der Austausch einer ganzen Industrie

„Pronto Moda“ entstand nicht von heute auf morgen. Um 2000 kamen viele chinesische Unternehmer in traditionsreiche Regionen der italienischen Textilindustrie. Unter anderem nach Prato, wo zuvor jahrzehntelang Zulieferbetriebe in Familienhand noble Stoffe für Marken wie Armani oder Versace fertigten.

Bereits seit den 90ern gerieten die Preise am Weltmarkt massiv unter Druck.  Alteingesessene italienischer Hersteller mussten ihre Fabriken nach und nach aufgeben. Die chinesischen Unternehmen konnten soleerstehenden Werkhallen günstig übernehmen und chinesische ArbeiterInnen strömten nach Prato.

Nähen für einen Hungerslohn

Während die großen Marken ordentliche Gewinne einfahren, haben die chinesischen ArbeiterInnen mit großen Problemen zu kämpfen, denn sie haben keine Papiere und sind nicht offiziell gemeldet. Für bis zu 18h Akkordarbeit verdient ein/e ArbeiterIN rund 1000€. Um eine offizielle Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, muss er/sie rund 25 000€ Sozialversicherungsabgaben zahlen. Was wiederum bedeutet, dass er/sie soviel beiseitelegen muss, wie nur möglich. Dazu kommen noch die Schulden, die viele auf sich nehmen, um Schlepper für die Reise nach Italien zu bezahlen. Nochmals etwa 10 000€. Um Kosten zu sparen, schlafen die meisten von ihnen deshalb in der Fabrik, in der sie arbeiten, in engen Matratzenlagern. Ärztliche Versorgung gibt es keine. Wird eine/r krank, sind alle krank. 

Die die es sich leisten konnten waren natürlich zum großen Neujahrsfest in ihrer Heimat Ende Januar und es wird vermutet, dass das Virus auch auf diesem Wege nach Norditalien kam. Aufgrund der katastrophalen Zustände konnte es sich dann rasch ausbreiten. Für die Gewinne der Modebranche zahlen nun alle einen hohen Preis.

Mode muss Verantwortung übernehmen

Und selbst wenn sich das Szenario nicht rückverfolgen lässt, die Bedingungen, unter denen ein Großteil der Mode Made in Italy gefertigt wird und ArbeiterInnen behandelt werden, sollte niemand unterstützen und mittragen. Oft werden Konsumenten aufgerufen verantwortungsvoller einzukaufen, was wichtig ist und ein sehr großer Hebel sein kann. Aber auch die Modebranche selbst muss sich endlich selbst verändern. Nicht nur in kleinen Stücken. Verantwortung für die eigenen Entscheidungen und deren Folgen zu übernehmen ist etwas, das jeder schon als junger Mensch gelernt haben sollte. Auch solche, die nun CEOs von Großkonzernen sind.

Deshalb rufen wir euch diese Woche dazu auf, besonders die Marken, die Made in Italy verkaufen zu fragen: „Who (the f***) made my clothes?“

Wie genau ihr an der Fashion Revolution Week teilnehmen könnt und welche anderen Aktionen es noch gibt, erfahrt ihr hier.

Let’s change the industry. Together.

– Nadja Steinbach –

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